Vor 2000 Jahren wurde er geboren: Paulus aus der Mittelmeerstadt Tarsus, Apostel der Völker, einer der kraftvollsten theologischen Denker der Weltgeschichte. Was würde er sagen, wenn er die Pauluskirche in Bulmke betritt?
Seinen Namen trägt sie. Wird er sich in ihr wieder finden? Es sei vorweg gesagt: Kein Bild von ihm, kein Bibelwort aus seiner Feder ist in der Kirche zu sehen. „Den Weg ins Licht beschreibt die Kirche: Durch einen leicht abschüssigen Mittelgang bewegt man sich auf den im bunten Licht erstrahlenden Tisch des Herrn zu, der im Chorraum an der Schwelle zum verglasten Chorabschluss steht. Der Altar mit dem Hochkreuz wird durch das einfallende Licht aus „glühenden Glasfenstern“ zu einem Ort der Transzendenz, der Begegnung mit dem Göttlichen in der Mahlfeier. Die scharfen Konturen des hohen Holzkreuzes, Symbol für Folter, Hinrichtung und Leid, verschwimmen in dem „glühenden Licht des Ostermorgens“. Das Kreuz wird dadurch zum Zeichen der uns Christen verbindenden Hoffnung, ‚dass Gott abwischen wird alle Tränen von unseren Augen und der Tod nicht mehr sein wird noch Leid noch Geschrei noch Schmerz‘ (Offb. 21,3.4). „Das Licht vertreibt die Finsternis und besiegt die Dunkelheit, es ist elementares Gestaltungselement und wird als geistig emotionale Kraft empfunden, die den Raum ausfüllt.“ (Gido Hülsmann, Architekt aus Bochum)
Wäre es dieser zugleich äußere und innere Weg mit dem Zentrum des Kreuzes im Licht der Auferstehungshoffnung, der Paulus auffallen würde? Ihm, dem das Kreuz Christi das entscheidende war. Ihm, dem der gekreuzigte Christus Gottes Kraft und Weisheit bedeutete?
Oder wäre es der Dialog mit der Kunst und ihren Details, der ihn, den „Grenzgänger“, faszinieren würde? „In keinem Sakralbau der Stadt Gelsenkirchen oder auch der Region ist die Verbindung zwischen hiesiger Künstlersiedlung, dem Halfmannshof, und christlichen Institutionen so abzulesen wie bei der Pauluskirche in Bulmke. „Der Halfmannshof als Kraftwerk des Kunstgenres – in der Pauluskirche wird es zum visuellen und geistigen Erlebnis, das ein Mitdenken und -erleben herausfordert.“ (H. J. Loskill, WAZ-Redakteur)
Noch nicht einmal in der Galerie der Apostel, gestaltet von dem Halfmannshöfer Eduard Bischof, an der Südseite der Kirche, findet sich Paulus wieder. Es würde ihn wohl kaum wundern. „Die Zwölf“ sind da dargestellt, jeweils zwei von ihnen in einer Fensterkomposition. Paulus als Spätberufener gehörte nicht zu ihnen. Er wusste um die besondere Gnade der übrigen Apostel, empfand sich selbst als „unzeitige Geburt“ (1. Kor 15,8). Was ihn nicht abgehalten hat, sich mit den Aposteln zu streiten um des Evangeliums willen.
Paulus und die Pauluskirche in Bulmke. Nein, vielleicht wären es am Ende nicht die künstlerischen Details, die den Apostel berühren würden, sondern eher ihre bewegte Geschichte. Vielleicht erinnerte ihn gerade die Historie dieser Kirche, deren erste Gestalt einmal ganz anders war, an seine eigene Lebensgeschichte. Der Entwurf seines Lebens ist durch die Begegnung mit Jesus Christus grundlegend neu geworden, sein altes Leben erhielt einen ganz anderen Stellenwert.
Die Pauluskirche kam einmal innen wie außen sehr imposant daher, beim Aufbau 1911 geprägt durch den Stil der Wilhelminischen Epoche, der Kaiserzeit. Im Krieg wurde sie zerstört und es dauerte bis zum Jahr 1955, dass sie wiederaufgebaut werden konnte. Unter dem Eindruck des Torsos der alten Kirche ist ein neuer Entwurf geworden – leichter, transparenter, heller. Keine „feste Burg“ mehr, sondern geistlicher Ort, gezeichnet von den Spuren der Geschichte. Auch das macht die Kraft ihres Raums aus. Man fühlt sich erinnert an den „Schatz, den wir haben, aber in irdenen Gefäßen“(2. Kor 4,7), erinnert an das Fragmentarische des menschlichen Seins und des christlichen Glaubens. Paulus hat das am eigenen Leib erfahren und als Gnade empfunden, die in den Schwachen mächtig ist. – [Pfarrer Henning Disselhoff im Gemeindebrief horizonte, Ausgabe Ostern 2009]