9. Mai 2010: Ausstellung „Kreuz“ – die Eröffnung


Am 9. Mai 2010 wurde die Ausstellung „Kreuz“ – ein Gemeinschaftsprojekt der Evangelischen Kirchengemeinde Bulmke, des Fördervereins „Evangelische Pauluskirche zu Bulmke e. V.“ und der Gelsenkirchener Künstlersiedlung Halfmannshof zum Kulturhauptstadtjahr 2010 – in der Pauluskirche zu Bulmke mit einem Gottesdienst und einer anschließenden Vernissage feierlich eröffnet.

Nachfolgend finden Sie die Rede vom früheren WAZ-Gelsenkirchen Kulturredakteur Hans-Jörg Loskill zur Ausstellungseröffnung sowie einige Impressionen des Tages aus der Pauluskirche.

Hans-Jörg Loskill .

Das Kreuz, das Menschen verbindet – Ausstellung der Halfmannshöfer in der Pauluskirche in Gelsenkirchen-Bulmke

Wir haben uns versammelt in dieser Kirche – unter dem Kreuz. Wir haben gesungen und Texte gehört, wir haben meditiert und unseren Glauben kollektiv versichert. Und immer begleitet uns diese radikale Gestik gekreuzter Linien.

Dieses Zeichen soll sogar älter sein als das eigentlich in der Gestaltungsform ideale und kongeniale Quadrat: das Kreuz. Schon in der Steinzeit fand man Felsritzungen in Höhlen mit dieser abstrakten Bildsprache – als Botschaft für Erde und Himmel, für Freundschaft und Frieden, für Beziehung und Kommunikation. Es übernimmt in seiner schlichten Grafik eine Zahlensymbolik rund um die „Vier“ – als zweifache Verbindung diametral entgegen gesetzter Punkte, zugleich Sinnbild für Einheit, Synthese, für das Maß schlechthin. Das Kreuz verknüpft(e) damals wie heute in seiner Bildkonzentration die Bedeutungsebenen von Zeit und Raum. Es führt in die kommunikativen Systeme der Menschheit ein als ebenso poetisches wie verknappt geistiges Signal. Und es bestimmte das antike, humane und christliche Denken – das gilt bis zum heutigen Tag. Das Kreuz begleitet sinnliches Leben und spirituelle Meditation. Es ist eine Chiffre für die Humanitas. Und deshalb hat es immer künstlerisch Schaffende angeregt, sich mit dem Kreuz auseinanderzusetzen.

Das gilt auch für den Halfmannshof mit seinen Mitgliedern, das gilt auch für diesen sakralen Raum der Pauluskirche. Der Gedanke lag nahe, dass Halfmannshof und Pauluskirchen-Gemeinde via Kreuz einmal mehr zu einander fanden.

Denn das ist ja bekannt: Es gibt eine „alte Liebe“, eine schöne Zweckverbindung zwischen der Ateliersiedlung und der Pauluskirche. In keiner anderen Gelsenkirchener Sakralarchitektur lassen sich so viele Zeugnisse der Hof-Schaffenden auffinden wie hier. In das Gesamtprogramm von Ruhe, Stille und Licht, wie ich es Ihnen vor zwei Jahren bereits in einem Vortrag auffächern durfte, passten sich in einer zweiten Bauphase ein: Otto Prinz (1902 – 1958) als Ideengeber und Architekt beim Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, Friedemann Werner als Kunstschmied, Prof. Eduard Bischoff, Hubert Nitsch – sie alle wohnten und arbeiteten im benachbarten Künstlerzentrum. Sie alle hinterließen starke Spuren.

Deshalb macht eine Kreuz-Sammlung der aktuellen Halfmannshof-Generation hier besonderen Sinn. Die Gegenwart schließt an damalige Konstellationen trotz der Freiheit der Gedanken an. Darauf will ich gleich noch gezielt eingehen.

Aber es gibt noch eine zweite Verbindungsachse: über beide Institute wird zur Zeit diskutiert. Der Halfmannshof ist in seiner bisherigen Existenz gefährdet, die Pauluskirche steht zur Disposition. Noch sind weder hier wie dort Entscheidungen gefallen. Aber dass grundsätzlich diese Themen aktuell sind, spricht schon einer eine gefährlichen Entwicklung – die Gesellschaft ist bereit, Substanz, Geschichte, Erinnerung, Kultur und deren Räume aufzugeben. Das ist eine brisante Tendenz. Nicht nur für die Gemeinde oder die Hof-Mitglieder – es appelliert an unser Gewissen, wie wir mit Kultur und Tradition, mit Christsein und ästhetikbotschaft umgehen. Wie schnell wir, wenn Finanzsorgen auftreten, wichtigere Werte vergessen. Ein Kreuz mit dem Kreuz…

Doch ich möchte vorweg noch einmal Grundsätzliches zum Kreuz sagen. Denn es tritt uns entgegen als Weihe- und Blaues Kreuz, als Dreifach- und Apfelkreuz, als Passions- und Hakenkreuz, als Rad- und Ankerkreuz, als ägyptisches und Tolosaner Kreuz, als Eisernes und als Keltenkreuz, als Kugel- und als Jerusalemer Kreuz usw. Das sind nur einige von über 50 typografischen Koordinaten, die sich bildhaft kreuzen – schlank und nüchtern, ornamental und dekorativ, einfach und vieldeutig, religiös und heraldisch. Zurück geht diese Basisform auf die Beziehung von Himmel und Erde: die horizontale Linie dient der irdischen, die vertikale der himmlischen Symbolik. Das Kreuz verweist allerdings auch auf die „vier Säulen“, wie es in der antiken ägyptischen Welt hieß, die wiederum das himmlische Gewölbe trugen. Die vier Himmelsrichtungen werden ebenfalls in dieser Form erfasst. Sie findet man in der Kultur- und Völkergeschichte ebenso bei den äthiopiern wie bei den Indianern, bei den Römern wie bei den Mayas. Das Kreuz öffnet den Blick auf nahezu alle Kulturen auf den Kontinenten.

Interessant ist nach diesem historischen und kunstgeschichtlichen Ausflug die lokale heutige Perspektive: was interessiert die Halfmannshöfer am Kreuz? Die Meditation oder die Provokation, die Geschichte oder die Gegenwart, die Form oder das Symbol, das christliche oder das heraldische Symbol?

Jeder muss sein Kreuz annehmen und tragen, heißt es in der Bibel. Die Halfmannshöfer lassen dieses universelle Prinzip auf sich wirken und sie gehen mit der Information insgesamt eher behutsam und sinnbildnerisch um. Das Kreuz in der Kirche fragt nach der besonderen Stellung im Kanon der geometrischen Zeichen. Und es nimmt den Betrachter (oder Betenden) mit in eine überkonfessionelle Offenheit: Das Kreuz weist zwar den Weg zu dem am Kreuz gestorbenen Gottessohn, aber es mutet uns auch die tolerante Offenheit zu allen Religionen in der Welt zu. Es lädt zur Diskussion und zum Gedankenaustausch ein. Die Halfmannshöfer gehen sogar noch einen Schritt weiter in Richtung Gewalt und Exzess. Wie also sind unsere gesellschaftlichen Bedingungen im 21. Jahrhundert fixiert?

Beteiligt an diesem Diskurs sind: der Fotograf und Designer Helmut Kloth, der Bildhauer Jiri Hilmar, der Maler und Grafiker Rolf John, der Stahlbildhauer Wolfgang Prager, der Kunstbuchbinder Dietmar Klein, der Grafiker und Bildhauer Heiner Szamida, die Keramikerin Barbara Echelmeyer, die Objektemacherin Karin Hilmar, der Fotograf Pedro Malinowski und die Foto-Grafikerin und Installateurin Katja Langer. Sie alle stellen sich gewissermaßen „unter das Kreuz“ – bei diesem Projekt als Kooperation zwischen Hof und Kirche zum Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010. Der Klangraum Pauluskirche wird zum philosophischen, ethischen, sozialen und christlichen Gottes-, Kultur- und: Kreuzort. Jeder Künstler in dieser geistigen und sinnlichen Begegnung gibt eine persönliche, subjektive Antwort auf den Fragenkomplex rund ums Kreuz, in dem doch alles Menschliche, alles Leid, aber auch alle Zuversicht und Hoffnung gebündelt werden.

Das Kreuz der Künstlerin Katja Langer.

Gleich am Altar ein aus Plexiglaskuben aufgerichtetes Kreuz, mit Trash gefüllt, das den Bibelfrauen gewidmet ist: Katja Langer zieht den Objekt- und Bilder-Bogen von der frühen Christenheit zur Gegenwart. Frauen, die ihr alltägliches Kreuz tragen.

Das Objekt „inmitten“ von Jiri Hilmar.

Jiri Hilmar nennt sein fünfteiliges Objekt „inmitten“ – eine genarbte Kugel, ein Körper mit dem Stigma des Kreuzes, wird gehalten, bedroht und eingekeilt von vier Holzscheiten. Das Kreuz rückt mit seinem Symbolgehalt mitten unter uns. Dietmar Kleins Leinwand-Relief reduziert den Korpus am Kreuz auf eine Gabelung, schwarz aufgetragen auf Textil, das wie ein Reliquien-Leichentuch an die biblische Christus-Thematik erinnert.

Die Collagne von Rolf John.

Rolf John verknüpft in seinen Collagen Malerei und Material. Brutal dargestellte Totenschädel mit Zeitspuren kontrastieren mit der kargen Schlichtheit des in das Bild eindringenden Kreuzes.

Die Keramiken von Barbara Echelmeyer.

Barbara Echelmeyer arbeitet mit Scheibe, Spirale, Wandteller, in die oder auf die sie Kreuze in unterschiedlicher Form einbringt – die stärkste Keramik wird durch einen Welten-Riss, über dem dennoch das Kreuz schwebt, gekennzeichnet.

Ein Werk von Heiner Szamida.
Zwei Werke von Heiner Szamida.

Heiner Szamida bringt drei Werke ein: zwei aus Holzasche gefertigte Kreuzformen, die durch Hand sensibel eine Landschaft markieren, und ein schwarz eingefärbtes „konkretes“ Objekt aus Spanholz, bei dem die Schraffuren konzentriert auf die Mitte zeigen.

Ein Entwurf von Wolfgang Prager.
Die Entwürfe von Wolfgang Prager.

Wolfgang Prager verweist auf ältere Entwürfe und Zeichnungen, die er im Sinne des klassischen oder auch expressiv gedeuteten Kreuzes für ein Denkmal oder ein Wandrelief angefertigt hat.

Fotografien von Helmut Kloth.

Helmut Kloths Fotografen-Serie spürt der Melancholie und Grabesstille eines meist lichtdurchfluteten Friedhofes nach. In jedem Bild spricht ein anderes Kreuz für den menschlichen Tod, der auf dem Gräberfeld gewürdigt wird. Das Licht scheint auf wie ein überwirkliches Signal.

Karin Hilmars „Torso“.

Karin Hilmars „Torso“ erinnert an einen zerstümmelten Körper, der mit goldenen und silbernen Blüten und Perlen geschmückt ist – eine bittere Hommage an den geweihten Corpus Jesu und an die geschundene Kreatur.

Foto-Arbeiten von Pedro Malinowski.

Pedro Malinowski ist der radikalste Interpret in seinen seriellen Foto-Arbeiten: Für ihn steht das Kreuz für die Hinrichtung schlechthin, für die politische Gewalt, für die despotische Macht, für Terror in der Welt, für die gequälte Seele. Sein Bilderfries klebt an den Stufen zum Altar. Auch das muss verstanden werden als eine politisch demonstrative Aussage.

Hinter jedem Werk baut sich eine biografische Erfahrung auf. Jeder der Halfmannshöfer bringt seine Geschichte, seine Perspektive, sein Erleben rund um das Kreuz mit. Das berührt, das bewegt, das erschüttert, das zielt auf die Innerlichkeit.

Wenn wir diesen Ort heute verlassen, nehmen wir in unserem Herzen, in unserer Ratio dies alles mit in den heutigen Tag, mit in die kommenden Wochen. Wir haben an Nachdenklichkeit gewonnen…

Das Kreuz tragen wir unsichtbar mit uns. Es leitet und geht uns irgendwie partnerschaftlich voran. Wir können uns der Faszination und der Suggestion dieses weisen und großen, appellhaften Menschheits-Zeichens nicht entziehen.

Ich danke den Mitgliedern des Halfmannshofes für ihre individuelle Auseinandersetzung, ich danke allen Interpreten dieser Matinee, ich danke Ihnen allen für das Dabeisein und das Zuhören.

Der israelische Solist Ziv Frenkel tanzt.

Wir werden jetzt noch Zeuge einer tänzerischen Darstellung der Passion, des Kreuz-Weges, in dem sich jeder von uns erkennen kann. Es tanzt der israelische Solist Ziv Frenkel, der wie Pedro Malinowski zum großartigen Tanztheater von Johan Kresnik in Bonn gehörte.

Eingangs wurden sie konfrontiert mit einer collagierten Klanginstallation zum Titel „Gute Nacht, o Wesen“, die sich auf das Kreuz-Thema bezieht. Sie kreiste um die populäre Bach-Motette „Jesu, meine Freude“. Beteiligt waren Mario Trelles Diaz, Tenor, und Miguel Trelles Diaz, Zuspielung. Die beiden Gelsenkirchener Musiker haben schon oft mit ungewöhnlichen, kammermusikalischen Programmen auf sich und ihr religiöses Weltbild aufmerksam gemacht. – Jörg Loskill